Am Donnerstag, den 25.09.2024 und am Donnerstag, den 18.10.2024 fanden in den Marburger Stadtteilen Moischt und Cappel jeweils von der Stadt durchgeführte Infoveranstaltungen zu den beiden vor Ort geplanten Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete und ausländische Pflegefachkräfte statt. Im folgenden Bericht wollen wir unsere Analyse der Situation vor Ort, der allgemeinen Stimmung in der lokalen Bevölkerung und eine Bewertung aus antifaschistischer Perspektive veröffentlichen.
Kontext
Die Stadt Marburg plant sowohl in Moischt als auch in Cappel größere Gemeinschaftsunterkünfte, in denen sowohl Geflüchtete als auch ausländische Pflegefachkräfte (Moischt) untergebracht werden sollen. In Moischt soll in einem alten Pflegeheim Platz für insgesamt 104 Geflüchtete sowie 30 ausländische Pflegefachkräfte geschaffen werden. Die Unterkunft in Cappel wird voraussichtlich mit 59 Personen belegt, im Ausnahmefall hätten bis zu 83 Personen Platz. Anfang September gab es in Moischt Haustürgespräche mit der Stadträtin Dinnebier, welche aufgrund von Gegenprotest abgebrochen werden mussten. Auch der zweite dafür angesetzte Termin wurde abgesagt. In Cappel wurden anonyme Flyer in der Nachbarschaft verteilt, welche über die geplante Unterkunft informierten und diesbezüglich Sorgen äußerte.
Die Infoveranstaltungen
Beide Veranstaltungen wurden von einem professionellen Moderationsteam geleitet. Die zuständigen Stadtvertreter*innen waren jeweils vor Ort und stellten sich nach einigen einleitenden Informationen den Fragen der lokalen Bevölkerung. Die Fragen waren in Moischt vor allem geprägt von durchaus nachvollziehbaren und berechtigten Einwänden bezüglich der Themen Altenheim, ÖPNV, Verantwortung für die Integration, Beteiligung bei dem Prozess und Größe der Unterkunft. In Cappel gab es einige sachliche Fragestellungen aufgrund von Bedenken wegen des Feuerschutzes in dem Gebäude. Neben diesen inhaltlichen Diskussionspunkten gab es bei beiden Veranstaltungen darüber hinaus auch polemische, populistische und rassistisch motivierte Redebeiträge. Vor allem in Moischt waren diese allerdings vergleichsweise selten, in Cappel wurde diesen auch im Publikum deutlich die Stirn geboten.
Die Stimmung im Saal in Moischt war grundsätzlich angespannt. Bei manchen Aussagen von Fr. Dinnebier und den anderen (städtischen) Vertreter*innen, besonders bei der Sprecherin einer Geflüchteteninitiative, wurde es etwas lauter und Unmut wurde geäußert. Teils war auch klassisches „Wutbürger“-Klientel vertreten, die Personen die Redebeiträge/Fragen formulierten, waren allerdings kaum darunter. Grundsätzlich wurden alle Fragestellungen aus dem Publikum mit Applaus unterstützt (je populistischer die Aussage, desto lauter war auch das „Wutbürger“-Klientel im Applaus) die Antworten seitens der städtischen Vertreter*innen und „Expert*innen“ allerdings nicht.
Anders war die Stimmung in Cappel, wo im Publikum spürbar vor allem Personen waren, die der Unterkunft zunächst einmal grundsätzlich positiv gegenüberstanden. Das „Wutbürger“-Klientel beschränkte sich hier auf wenige einzelne Personen mit mehreren Redebeiträgen, welchen aber durch andere Redebeiträge teilweise deutlich entgegnet wurde.
Einschätzung/Bewertung
Es sind, bis auf einige Ausnahmen, primär soziale Probleme, die die Moischter*innen (zumindest laut ihrer Aussagen) dazu bewegen, sich gegen die Geflüchtetenunterkunft auszusprechen, auch wenn zum Teil sicher diese Themen auch als Vorwand genutzt wurden. Dazu gehört zum einen die Schließung des lokalen Altenheims im letzten Jahr, die katastrophale Anbindung an den ÖPNV (eben dann auch für bspw. die ausländischen Pflegekräfte auf ihrem Arbeitsweg), fehlende Kitaplätze (für Geflüchtete) sowie die von der Stadt formulierte Auslagerung der Integrationsarbeit an die lokalen Vereine.
Dass diese Investitionen gemacht werden könnten, wenn beispielsweise die Übergewinne der Stadt von der Vermögensberatung und Biontech genutzt würden oder auf Bundesebene nicht so vehement ideologisch an der Schuldenbremse festgehalten würde, kommt dort allerdings nicht zur Sprache, weshalb sich der Unmut dann in erster Linie an der Stadträtin, ihrer Begleitung und teilweise an der Unterkunft bzw. den Geflüchteten selbst entlädt.
Dass dabei das Gefühl entsteht, dass die Moischter*innen dann mit einem plötzlichen Bevölkerungszuwachs von 10% überfordert sein würden, ist unter den oben genannten Gesichtspunkten durchaus nachzuvollziehen. Ein Großteil der vor allem in Moischt vorgetragenen Argumente sind nicht von der Hand zu weisen, solange sie sich nicht auf rassistische Ressentiments berufen, sondern sich davon klar distanzieren.